Leuchtpunkte im Banat und in der Kulturhochburg Temeswar
Der Förderverein „Mutter-Anna-Kirche Sanktanna“ e.V. setzte seine Reihe „Rumänien - ein Land mit vielen Kulturen“ mit einem Kulturnachmittag am 21.10.2023 fort. Das Thema war „Temeswar – Kulturhauptstadt Europas 2023 – und das Banat“.
Die erste Überraschung war das große Interesse von über 200 Besuchern, trotz einiger Parallelveranstaltungen der Stadt Leingarten und der Banater Schwaben in der Region. Einen Nachmittag von besonderer Tiefe und eine zeitgleiche Reise in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft versprach Katharina Hell in ihrer Begrüßung.
Den Start machte eine Jugendgruppe aus Sanktanna, gefolgt von einer Bilderreihe aus dem Banat, musikalisch umrahmt und in angenehmer Atmosphäre präsentiert. „Reisen veredelt den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf“ wusste schon Oscar Wilde. Auch Sergiu Trif, Schüler der Deutschen Abteilung der 8. Klasse des „Technologischen Lyceums Stefan Hell Sanktanna“ bestätigte das und drückte es in seinem Grußwort aus Sanktanna so aus: „nach einer Reise kehrt man nicht mehr so zurück, wie man vor der Reise war, denn der Weg den man gegangen ist, die Menschen die man kennengelernt hat und die Erfahrungen die man gesammelt hat, verändern uns.“ 14 Schülerinnen und Schüler von Georgeana Costea und Melita Palcu-Socaciu begleitet, eröffneten mit vier Liedern und Gedichte, vorgetragen von Vanesa Tista, Lukas Raab und Karina Palcu-Socaciu, den Kulturnachmittag. In Begleitung von Anton Bleiziffer auf dem Akkordeon sangen sie Lieder, die zum Mitsingen einluden. Leingarten war die erste Station ihrer einwöchigen Reise, gefördert durch das St. Gerhardswerk Stuttgart, dessen Geschäftsführer Prof. Dr. Dr. Rainer Bendel die Gäste aus Sanktanna begleitete. Der Besuch der Schülergruppe war zweifelsohne ein besonderer Glanzpunkt, denn mit ihrem Programm in deutscher Sprache erwiesen sie den Vorfahren aus Deutschland, die einst Sanktanna besiedelt haben, Referenz. Im Vorfeld ihres Auftrittes beim Förderverein machte die Schülergruppe unter der Führung von Marianne Heuberger einen Ausflug zur Heuchelberger Warte. Das weithin sichtbare Wahrzeichen der Stadt Leingarten aus dem Jahre 1483 diente damals dem Wächter zur Beobachtung und zur Zeichensetzung bei nahender Gefahr. Heute ist der Aussichtsturm ein beliebtes Ausflugsziel mit herrlichem Rundblick auf die Rebhänge des Heuchelbergs. Erreichbar über die Philosophensteige, waren die Schüler sehr begeistert von den herbstlichen Farben der verschiedenen Parzellen der Rebsorten und der Fernsicht bei strahlendem Sonnenschein. Zurück in der Festhalle und nach ihrem Auftritt genossen sie den Nachmittag, der ihnen noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Höhepunkt des Kulturnachmittags waren die Beiträge der beiden Referenten Josef Budean und Anton Bleiziffer. Karl Hell sorgte für einen reibungslosen Ablauf der Technik. Die Büchertische zu Temeswar und Schulbücher aus den Jahren 1970 – 1990 waren Besuchermagnete. Manch einer staunte über den Lerninhalt der Unterrichtsfächer in deutscher Sprache. Micheal Heuberger betreute den Verkaufstisch an dem gespendete Sachen angeboten wurden, deren Erlös dem Zweck des Fördervereins zu Gute kommt.
Josef Budean verstand es einmal mehr, Landschaften und ihre Bewohner, Dörfer und Städte zu fotografieren und den gespannten Besuchern unterhaltsam und eloquent zu präsentieren. Die fotografische Reise durch das Banat startete im Haus und Hof von Jànibacsi und Càtineni in Sanktanna und zeigte einen typischen Schwabenhaushalt so wie wir ihn aus unserer Kindheit kennen. Eine Fußwallfahrt nach Maria Radna mit musikalischer Umrahmung stimmte uns andächtig und nachdenklich. „Näher mein Gott zu dir“ gesungen von dem blinden Sänger Raimund Slatina wurde auf Tonträger eingespielt. Der zweite große Feiertag im Banat führte uns zum Kirchweihfest nach Bakowa. Die bunten Banater Kirchweih-Trachten fanden großen Gefallen vor allem bei den Gästen aus Leingarten die bisher wenig oder gar keinen Bezug zu den Banater Schwaben hatten. Anschließend ging es über Königshof und Deutschbentschek nach Altringen und Charlottenburg. Letzteres als einziges Dorf im Banat das kreisförmig angelegt ist. Sehr imposant fanden wir das Jagdschloss und den Wald mit viel Wild, welcher eigens zum Jagen angelegt worden war. Die Schakale in Bogda standen total im Gegensatz zur Ruhe und Idylle der Banater Heide. In Herkulesbad angekommen erfuhren wir, dass die Statue des Herkules aus Kanonenrohre gegossen wurde. Auf vier Kilometer kommen hier rund 16 Thermalquellen zwischen 38°C und 67°C. Tief beeindruckt hat uns das „Sozialbad“ Herkules. Surreale Bilder von einer zersetzenden Pracht die frühere Glanzzeiten von Palästen von Bädern erahnen lassen, ließen uns den Atem anhalten. Vor grandioser Bergkulisse rotten herrliche Baudenkmäler dahin und erinnern wage an die goldenen Zeiten, als Kaiserin Sissi zum Kuren nach Herkulesbad kam.
Das Relief des Nationalparks Domogled-Cerna beginnt im Süden nahe Herkulesbad bei sanften 180 m und steigt auf den Höhen des Godeanu-Massivs auf 2229 m an. Zu dessen Bewohnern gehören Hornvipern, große Bären, Wölfe und Luchse. Trotzdem oder gerade deswegen hat ein Hirte Hütehunde in der Zahl über 20 pro Herde. Nach einer Wanderung durch das Cerna Tal lag uns die Donau zu Füßen. Mystische Stimmung in Bilder einzufangen und selektive Aufmerksamkeitslenkung kann Keiner so gut wie Josef Budean. Seine Bilder sprechen eine eigene Sprache und seine Geschichten zur Entstehung sind faszinierend. Einfachste Lebensverhältnisse und trotzdem schienen die Menschen zufrieden und glücklich. Dazu hatten sie auch allen Grund für ein zwar nicht einfaches Leben aber in geradezu paradiesischen Landschaften. An der Donau ging die Bilderreise weiter über Orschowa zur Fackelmann Kirche. Die einzige Kirche welche in kommunistischen Zeiten in den 1970er Jahren erbaut wurde und die einzige Kirche in Europa ohne Fenster. Das Licht kommt durch das Dachkreuz aus Glas das oben das Gewölbe teilt: Licht vom und durch das (Glas) Kreuz von oben! Sehr symbolträchtig ist auch der Kreuzweg dieser römisch-katholischen Kirche. Weiter ging die Bilderreise zum Eisernen Tor, dem Donaudurchbruch und zum Großen und Kleinen Donaukessel. 12 Bildhauer haben in zehn Jahren die 55 Meter hohe Felsenskulptur „Decebal Rex“ geschaffen die einzigartig in Europa ist. Sie ist größer als die monumentale Christusstatue in Rio de Janeiro (Brasilien). Anschließend machten wir einen Abstecher zu den Berglanddeutschen. Ehemalige Dörfer die von deutschen Siedlern angelegt wurden (Wolfsberg, Franzdorf, Weidental, Lindenfeld) waren Stationen der Bilderreise. Teilweise zum Bestaunen und zum Betrauern waren die Bilder und ihre Geschichten von Josef Budean sehr authentisch präsentiert. Große Lobesworte fand auch der Bürgermeister der Stadt Leingarten, Ralf Steinbrenner, zu Gast an diesem Nachmittag. Reschitzas Dampflock und die Geschichte des Erzabbaus schmückten Bilder und ließen unsere Gedanken in die Ferne schweifen.
In Temeswar endete die Reise. Klein Wien, wie es auch genannt wird, lies Budean in hellem Licht erstrahlen. Der Rosengarten in Temeswar, auch „Paradies der Rosen“ genannt stand bildhaft für die Vielfalt der Kulturen, Ethnien und Religionen in der Stadt. Eine Stadt ist immer so stark wie ihre Kultur. Das Kulturfest im Banater Dorfmuseum während der Heimattage der Banater Deutschen hielt Budean in unbeschreiblich schönen Fotos für die Ewigkeit fest. Herrliche Jugendstilbauten, barocke Plätze, viele Parks, gemütliche Lokale und Kultur an jeder Ecke – das ist Temeswar, die zweitgrößte Stadt Rumäniens, die immer noch den Glanz der Habsburgermonarchie verströmt.
Anton Bleiziffer begleitete die Reise musikalisch. Zu jeder Station der Reise hatte Bleiziffer das passende Liedgut dabei. Er versäumte es nicht, das Volkslied in seiner ethnischen Vielfalt zu präsentieren und nahm uns mit auf die Donaufahrt mit „Donauwellen“ in wechselnden Tonarten (in Dur und Moll) von Iosif Ivanovici. Dieser Konzertwalzer wurde in Temeswar geschrieben von einem serbischen Landsmann und erfreut sich auch heute noch großer Popularität. Ivanovici hatte ihn 1880 der jungen Sarah Fried aus Lugoj gewidmet. Natürlich durfte auch der Walzer „Souvenir de Herkulesbad“ von Jakob Pazeller in Bleiziffers Repertoire nicht fehlen. Pazeller wurde in Baden bei Wien geboren und spielte in den Sommermonaten mit seinem Garnisonorchester aus Arad in Herkulesbad, wo auch dieses weltbekannte Stück entstand. Und ganz nebenbei erfuhren wir die Entstehungsgeschichte mancher anderer Musikstücke („Mei Mädel ist aus Temeswar“), ihre Weltkariere und die vielfältigen auch musikalischen Bezüge zwischen Temeswar und Sanktanna und Temeswar und anderen Banatdörfern. Ein Highlight auf seinem Akkordeon war neben einer Eigenkomposition für Lambert Steiner sicherlich das „Gaudeamus igitur“, ein Studentenlied welches zum Volkslied wurde und von Bleiziffer in mehreren Variationen vorgespielt wurde. Er stellte die Frage warum es „Heil dir mein Heimatland“ von Max Molke/Henry Carey zur Banathymne geschafft hat und andere bekannte und beliebte Banatlieder nicht und spielte einige dieser Lieder an. Spätestens jetzt wurde jedem im Saal der musikalische Schatz der Banater Schwaben bewusst. Viele sangen mit oder nickten anerkennend.
Was haben Bänkelsänger, Drehorgelmusik und Lovrin gemeinsam? Bleiziffer wusste es: Das Musikstück „Mariechen saß weinend im Garten“ wurde in Lovrin von Joseph Christian von Zedlitz 1832 geschrieben und machte durch die Drehorgelspieler, die auf einer Erhöhung (Bänkel) während des Spiels standen, Weltkariere. Eindrucksvoll und mit viel Gefühl spielte uns Bleiziffer ein Potpourri aus deutschen, rumänischen, ungarischen, serbischen und türkischen Volkslieder um uns den interkulturellen musikalischen Reichtum des Banats zu zeigen und um den europäischen Geist der Region über die Musik erlebbar zu machen.
Geschichtliche Hintergründe des Banats klangen immer wieder an und brachten der einheimischen Bevölkerung der Stadt Leingarten einen Landstrich mitten in Europa näher, den sie bis dato so noch nicht so gut kannten. Somit trug dieser Nachmittag auf unterhaltsamer Weise zur Verständigung zwischen den Völkern und Nationen bei. Man kann, die vielen positiven Rückmeldungen berücksichtigend, behaupten dass, die Banater Schwaben ihre Funktion als Brückenbauer ernst nehmen.
Der europäische Gedanke aus Temeswar im Banat, von einer multikulturellen Gesellschaft die in Frieden, Freiheit und Fortschritt lebt, möge übergreifen auf andere Völker und Ethnien und zeigen, dass unterschiedliche Herkunft, Kultur und Religion eine Bereicherung darstellen. Temeswar lebt diesen europäischen Geist beispielhaft aufgrund ihrer Vielfalt die an diesem Nachmittag mit Bildern, Geschichten und über Musik den Besuchern näher gebracht wurde. Temeswar inspiriert! Temeswar bereichert! Temeswar strahlt Hoffnung aus und wirbt mit dem Slogan „Lass die Stadt durch dich erstrahlen“ 2023 um Besucher von Nah und Fern.
Einen schmackhaften Ausklang des Tages bot die Küche: Langosch, eine besonders in der früheren Heimat der Banater Schwaben bekannte und beliebte Spezialität konnten die Teilnehmer genießen. Auch dies fand regen Zuspruch unter den Besuchern. Rosi und Josef Vona, Sanktannaer aus dem Kreisverband Ludwigsburg brachten das Langoschrezept und die Zutaten nach Leingarten. Für Ihre Bereitschaft und ihren Einsatz sagen wir herzlich: „Vergelt´s Gott!“.
Zum Schluss dankte der Vorsitzende des Fördervereins den Besuchern für ihren großen Zuspruch, der Schülergruppe aus Sanktanna und den beiden Referenten Josef Budean und Anton Bleiziffer herzlich. Sie haben ihr Heimatland als „allerschönstes Land“ gekonnt präsentiert. Ebenso sprach er seine große Dankbarkeit den Bäckerinnen von Kuchen und Langosch und dem fleißigen Helferteam aus, ohne die eine Veranstaltung dieser Art nicht möglich wäre. An die Besucher richtete er die Bitte um eine Spende zugunsten des Fördervereins für die Sanierung der Mutter-Anna-Kirche. Mit den Worten des Nobelpreisträgers Albert Einstein: „Das gute Beispiel ist die einzige Möglichkeit, andere zu beeinflussen“, bat er um das gute Beispiel einer Spende. Mit der Gewinnung von Spenden und weiteren Aktivitäten hierzu möchte der Förderverein die Finanzierung der letzten größeren Sanierungsmaßnahme, die Sanierung der Fassaden, erreichen. Dann wäre die Sanierung der Mutter-Anna-Kirche so weit vollendet, dass die heutige Generation das getan hätte, was sie dem Erbe ihrer Vorfahren schuldet, um dieses der nachfolgenden Generation zu erhalten.
Einen großen Dank sprach Hellstern der Kulturreferentin für den Donauraum Dr. Swantje Volkmann für die Förderung dieser Kulturveranstaltung aus.